Sie haben ihr Ziel erreicht

Seine Frau durch ein Gerät oder einen Apparat ersetzen zu wollen, ist eine mehr als heikle, sensible und zugleich höchst gefährliche Aufgabe. In der Regel sind unsere besseren Hälften nicht zu ersetzen, aber in den sogenannten modernen Zeiten hat es sich herauskristallisiert, dass die Navigationsgeräte für Automobile gewisse Vorteile gegenüber den Regieanweisungen unserer Beifahrerinnen haben. Böse männliche Zungen behaupten, dass das Beste am Navi sei, dass man es jederzeit abschalten könne. Aber auf diese sexistischen und chauvinistischen Falschmeldungen wollen wir hier nicht näher eingehen.

Meiner Frau gelang es jahrzehntelang mit Bravour, uns beispielsweise durch Wüstengebiete, Canyons und Naturparks im Südwesten der USA oder durch enge und verwinkelte Gebirgssträßchen in Südtirol unversehrt zu navigieren. Dank ihres phänomenalen Orientierungssinnes und ihres ausgeprägten Überlebenswillens meisterte sie alle noch so prekäre Situationen. Karten waren für sie nur ein Hilfsmittel in Städten, ansonsten half oft Sonnenstand oder gesunder Menschenverstand.

Aber als mich ein Freund auf die modernen Navigationsgeräte aufmerksam gemacht und ich mich mit diesem Wunder der Technik näher befasste hatte, kam ich nicht umhin, meiner Frau in der mir eigenen diplomatischen und höchst einfühlsamen Art die nicht zu leugnenden Vorteile dieses Wundergerätes näher zu bringen. Von einer abrupten und unsensiblen Ablösung wagte ich noch nicht zu sprechen, geschweige denn davon zu träumen. Aber meine Frau ist nicht umsonst die bessere Hälfte, denn sie erkannte blitzschnell die Vorteile, die sich ihr auftaten: Der Stressfaktor ließ sich bei längeren Fahrten mit Leichtigkeit gegen Null senken und sie konnte endlich auch mal die Landschaft genießen, ohne die Nase in Karten oder Skizzen zu stecken. So kam es, dass wir uns stolze Besitzer eines Navigerätes mit dem merkwürdigen Namen „TomTom“ nennen durften. Der Name war scheinbar ein Synonym für die erhöhte Herzfrequenz beim Einschalten des Gerätes. Spontan beschlossen wir, keine Zeit verstreichen zu lassen und eine Probefahrt zu unternehmen. Leichter gesagt als getan. Sich in der gefühlt zwanzig-sprachige Anleitung zurechtzufinden, kam fast der Prüfungsarbeit beim Erwerb eines Führerscheins gleich. In meinem Kopf schwirrten Begriffe unaufhörlich herum, wie z.B. „Schnellste Route“ (was sonst), „Warnen vor stationären Radarfallen“ (dumme Frage), „Letzte Ziele“ (es gibt nur ein letztes Ziel). Endlich glaubte ich, dass ich mich mit der mir bisher fremden Technik so weit vertraut gemacht hatte, dass ich in der Lage war, das Ziel unserer Probefahrt einzugeben. Natürlich wählten wir die schönste Stadt der Welt aus: Heidelberg. Wir entschieden uns, die Anweisungen von einer blechern und etwas abgehackt klingenden Frauenstimme übermitteln zu lassen (die Auswahl an Stimmen war sehr überschaubar). Um eine persönliche und emotionale Beziehung zu unserer neuen Beifahrerin herzustellen, beschlossen wir das etwas fremdartig anmutende „TomTom“ durch einen Frauennamen zu ersetzen. Ohne lange zu überlegen, hatten wir uns auf den Namen „Berta“ geeinigt, denn die Persönlichkeit der Frau von Carl Benz hatte uns schon immer tief beeindruckt. Berta (das Navi natürlich) wurde dann später ein fast vollwertiges Mitglied unserer Familie. Das ging sogar so weit, dass meine Frau mich mit den Worten maßregelte „Sei still, wenn sie das hört“. Nur weil ich mal eine ihrer Regieanweisungen zu missbilligen wagte!

Nun aber zurück zu unserer Probefahrt. Mit stark erhöhtem Herzschlag (TomTom) gab ich unser Ziel „Heidelberg“ ein und drückte mit einem Gefühl auf den Startknopf, als ob ich den Countdown für einen Raketenstart vom Kennedy Space Center auslösen würde. Mit zufriedenem Grinsen und einem fröhlichen Lied auf den Lippen steuerte ich (und Berta) das Auto Richtung Neckargemünd.

Aber dann geschah es, das Unvorhersehbare und Ungeheuerliche! Anstatt uns auf die Bundesstraße Richtung Heidelberg zu dirigieren, gab Berta den unmissverständlichen Befehl: „Links in die Elisabeth-Walter-Straße abbiegen“. In unserem (noch) unerschütterlichen Gottvertrauen zu der modernen Technik und ihrem weiblichen Sprachrohr gehorchten wir ergeben ihrer Anweisung. Plötzlich verkündetet Berta mit fester und bestimmender Stimme „Sie haben ihr Ziel erreicht“. Zugleich erstaunt und erwartungsvoll blickten wir auf das angekündigte „Ziel“. Es war …der Neckargemünder Friedhof. Mir schoss der Gedanke durch den Kopf, dass wir dank des makabren Humors von Berta in Zukunft noch einige Überraschungen erleben würden.

Zur Ehre von Berta muss aber gesagt werden, dass dies ihr einziger schwerwiegender Fehler war. Wahrscheinlich hatte ein arroganter Satellit die Navi-Novizin noch nicht für voll genommen oder die digitale Erstversorgung falsch dosiert. Einen Bedienungsfehler meinerseits schloss ich kategorisch und energisch aus.

Wie schon gesagt, Berta ist ein vollwertiges Mitglied unserer Familie und wir verstehen uns blendend mit ihr – wenn ihr schwarzer Humor sie nicht dazu verleiten sollte, uns zur Abwechslung mal zu einer Mülldeponie zu dirigieren.

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