Im Oktober 2017 musste ich wegen operativer Eingriffe am Auge mehrere Tage in der Kopfklinik behandelt werden. Da meine Gehwerkzeuge nach der OP vollständig funktionsfähig waren, wanderte ich stundenlang durch die Stationen der Universitätskliniken, welche wie in einem Labyrinth ineinander verwoben waren.
Im Laufe der Tage waren mir die schier endlosen Gänge und Treppen so vertraut, wie einem Pfadfinder die verschlungensten Waldpfade. Je länger sich mein unfreiwilliger Aufenthalt dahinzog, desto mehr konnte ich beobachten, wie viele ältere Patient:innen und Neuankömmlinge in den Kliniken herumirrten und verzweifelt den Standort für ihre Behandlungsräume suchten. Sie wurden zwar von dem heillos unterbesetzten Personal mit einer detaillierten mündlichen Wegbeschreibung ausgestattet („dritter Gang rechts, dann Fahrstuhl bis 2. Stock, den Gang gerade aus, vor der Station B links abbiegen, schließlich vor 2. Tür rechts warten“) ,aber schließlich verloren auch die fittesten Patient:innen den Überblick und die Orientierung. Dank meiner neu erworbenen „Insiderkenntnissen“, half ich spontan und ohne groß nachzudenken den zum Teil total verunsicherten Mitmenschen, ihre Ziel zu erreichen.
Mit der Zeit fand ich immer mehr Gefallen an meinen „Rettungsaktionen“, zumal ich mit dankbaren Lächeln und Blicken belohnt wurde, ich das Gefühl hatte, etwas Sinnvolles zu tun und zu guter Letzt Abwechslung in meinen monotonen Klinik-Alltag bringen konnte. Mir kam damals der Gedanke, wie schön es wäre, wenn man versierte ortskundige „Platzanweiser“ installieren würde, die für einen reibungslosen und unaufgeregten „Patienten-Fluss“ sorgen könnten. Aber ich schlug mir diesen unrealistischen Gedanken so schnell wie er auftauchte, auch wieder aus meinem Kopf. Kein Personal, keine Freiwilligen! So etwas nennt man „Totschlag-Argument“!
Fünf Jahre später hatte ich einen Termin im Nationalen Centrum für Tumorerkrankung (NCT) in Heidelberg. Als ich das Gebäude betrat, erlebte ich sogleich eine unerwartet freudige Überraschung. Neben dem Eingang saß unter dem Schild „Lotsen-Dienst des NCT“ eine freundliche Dame und sah mich mit einem Lächeln erwartungsvoll an. Nachdem ich ihr Zweck und Ort meines Besuches mitgeteilt hatte, erklärte sie mir routiniert und klar verständlich, wie ich am schnellsten den gewünschten Platz erreichen konnte. Auf Wunsch würde sie mich auch gerne begleiten.
Mein Traum von den „Platzanweisern“ in der Kopfklinik vor fünf Jahren war Wirklichkeit geworden! Als ich meinen Termin beendet hatte, wollte ich noch gerne mehr über die Tätigkeit der NCT-Lotsen, die ihren Dienst freiwillig verrichten, wissen. Die hilfsbereite Dame verwies mich an Frau Anne Müller, Koordinatorin des NCT-Lotsendienstes, die mich mit jeder Menge interessanter Informationen versorgen könne. So entstand das nachstehende Interview:
• Auf wessen Initiative entstand der NCT-Lotsendienst?
Initiiert wurde der Lotsendienst 2017 durch das Fotoprojekt „Krebs hat ein Gesicht“ von Vanessa Weil. Gemeinsam mit dem Patientenbeirat des NCT Heidelberg und dem Heidelberger Selbsthilfebüro wurde der NCT-Lotsendienst konzipiert und geplant. Im April 2018 waren die ersten Lots:innen aktiv. 2023 feiert der Lotsendienst sein 5-jähriges Bestehen.
• Gab es einen konkreten Anlass?
Die oben erwähnte Patientin hätte gerne während ihrer Therapie einen Lotsendienst in Anspruch genommen und hat daher ihre Spende dem NCT zwecks Umsetzung dieses Angebots zukommen lassen.
• Sind bestimmte Grundkenntnisse Voraussetzung?
Ein Lotse sollte Freude am Umgang mit Menschen haben, Empathie und Flexibilität mitbringen und offen auf Menschen zugehen können.
• Welche Hilfsleistungen umfasst der Dienst?
Die Lots:innen helfen bei der Orientierung im NCT-Gebäude und begleiten in die benachbarten Kliniken im Neuenheimer Feld. Sie haben ein offenes Ohr für die Anliegen der Patient:innen und informieren bei Bedarf über die Angebote der Beratungsdienste.
• Ist die Mitarbeit generell freiwillig und wird eine kleine Aufwandsentschädigung bezahlt?
Den Lots:innen werden die Reisekosten und die Verpflegung am Einsatztag erstattet.
• Ist es zumindest angedacht, den Service auf weitere Kliniken und soziale Einrichtungen zu erweitern?
Diese Entscheidung liegt in der Initiative der anderen Einrichtungen bzw. Kliniken. Der Bedarf ist sicherlich vorhanden.
• Wie viele Lotsen (weiblich/männlich) sind aktuell tätig?
Zurzeit sind 2 Männer und acht Frauen ehrenamtlich in zwei Schichten aktiv.
• Wo befindet sich der permanente Standort des Dienstes und in welchem Zeitfenster steht er zur Verfügung?
Der Standort der NCT-Lotsen befindet sich am Empfang des Nationalen Centrums für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg. Die Lotsen sind von Montag bis Freitag zwischen 8 bis 13 Uhr im Dienst.
• Wie wird der Service von den Patienten aufgenommen? Gibt es ein Feedback?
Die Patient:innen und ihre Angehörigen sind sehr dankbar für die Unterstützung und darüber, dass sie sich nicht alleine in der Klinik zurecht finden müssen. Small Talk lenkt ab und überbrückt lange Wege oder Wartezeiten. Viele Patient:innen oder deren Angehörige buchen vorab für den Aufenthalt am NCT einen Lotsen, der geplant bei der Begleitung unterstützt. Patient:innen können bei Bedarf vom Taxistand abgeholt bzw. hingebracht werden. Bei Bedarf können die Patient:innen auch im Klinik-Rollstuhl zu den entsprechenden Stellen gebracht werden. Dieser Service entlastet viele Angehörige, wenn sie die Patient:innen nicht selber zu jeder Behandlung oder zu jedem Arztgespräch begleiten können.
• Wie und wo kann man sich bewerben?
E-Mail: nct.lotse@med.uni-heidelberg.de Lotsendienst – NCT Nationales Centrum für Tumorerkrankungen Heidelberg (nct-heidelberg.de) (zur Zeit gibt es eine Warteliste)
• Entstehen für die Patienten Kosten?
Der Lotsendienst ist ein kostenfreier Service des NCT Heidelberg.

