Kalkulation

Im September 1979 erkundigte ich mich bei der Personalabteilung des wissenschaftlichen Springer-Verlages in Heidelberg, ob ich vor meinem beabsichtigtem Studium an der Grafischen Hochschule in Stuttgart ein vierteljähriges Praktikum absolvieren könne. Man teilte mir ebenso freundlich wie bestimmt mit, dass dies nicht möglich sei,aber man könne mir mir eine zeitlich begrenzte Stelle als wissenschaftlicher Herstellungsassistent anbieten. Ich hatte keinen blassen Schimmer, was man unter einem Herstellungsassistenten zu verstehen hatte, aber ich fand die Bezeichnung „wissenschaftlich“ und „Herstellung“ sehr interessant und bedeutend – nur der „Assistent“ störte mich ein wenig.

So kam es, dass ich einem erfahrenen Hersteller, namens Karl-Friedrich Koch, als Assistent „zur Seite gestellt“ wurde. Wahrscheinlich war und bin ich der einzige männliche Herstellungsassistent in der glorreichen Springer-Historie gewesen, denn ansonsten endeten diese Berufsbezeichnungen durch die Bank mit …„innen“. Es gab mal den Film „Ich war eine männliche Kriegsbraut“, aber das ist eine ganz andere Geschichte.

Nach einem Vierteljahr, in dem ich dem sympathischen und hilfsbereiten armen Herrn Koch mehr von der Arbeit abhielt, als ihm hilfreich „zur Seite zu stehen“, blieb ich dann aus den verschiedensten Gründen bei Springer „hängen“und wurde ein richtiger Hersteller mit eigenem Programm …und Herstellungsassistentin. Rückwirkend betrachtet, hätte ich das nie und nimmer ohne die Geduld und unermüdliche Hilfe von Herrn Koch geschafft.Ich war noch viele Jahre später sehr stolz, als er mir das „Du“ mit dem Satz anbot: „Sage einfach Charlie zu mir“.

Eines mehr oder weniger schönen Tages saßen Ludwig Weiss, Leiter der Buchherstellung, Herr Koch und ich bei einem kargen Mal in unserer Kante des alten Verlagsgebäudes in der Neuenheimer Landstraße. Die beiden Herstellungs-Haudegen fachsimpelten angeregt über das Erstellen von von Buchkalkulationen. Den jüngeren Kolleginnen und Kollegen möchte ich gerne beflissentlich erläutern, dass zu dieser Zeit die Festpreis- und Nachkalkulationen noch von den Herstellern mit gütiger Hilfe einer altertümlichen Rechenmaschine erstellt wurden, auf der die Verlagsgründer wahrscheinlich bereits ihr Startkapital errechnet hatten. Außerdem gehörten ein sorgfältig angespitzten Bleistift sowie ein Radiergummi (war mein wichtigstes Utensil!!!) zur Standardausrüstung.

Ich lauschte mit vor Aufregung glühenden roten Wangen den Ausführungen meiner erfahrenen Kollegen. Herr Koch ließ beiläufig in das Gespräch, eigentlich mehr Dialog, einfließen, dass er die Kalkulationen am liebsten in aller Ruhe in einem Eisenbahnabteil zu Papier bringen würde. Man muss zur Erklärung anfügen, dass er täglich zwischen seinem Wohnsitz in Darmstadt und Heidelberg hin und her pendelte.

Nun glaubte ich Greenhorn, es sei endlich an der Zeit, auch etwas Bedeutendes zu dieser Unterhaltung beizutragen. Mit leicht gelangweilter Miene meinte ich, dass man an den Kalkulationen genau erkenne könne, wo der Zug gerade gehalten habe, denn nur an diesen Stellen seien die Zahlen deutlich lesbar.

Herr Koch, in seiner ihm angeborenen Grundgüte, lächelte mich nur mitleidig an und schien einfach meine unqualifizierte und törichte Bemerkung zu überhören.

Herr Weiss dagegen musterte mich eine schier nicht endende Zeit von oben nach unten mit strengem Blick und zischte dann „aber bei Herrn Koch stimmen wenigstens die Zahlen!!!“

Ich weiß bis heute nicht, was er mir mit dieser Bemerkung sagen wollte.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Martha Berg

    Din köstlicher Beitrag! Nun weiß ich endlich, wie du zu Springer gekommen bist! Die Schilderungen von Herrn Koch und Herrn Weiß – mehr als trefflich! Aber das Foto von der antiquierten Rechenmaschine schießt den Vogel ab! Ich glaube, das war bestimmt das „Heiligtum“ von Hern Koch!!!

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