Die Umfragewerte der aktuellen Bundesregierung erreichten nach ihrem ersten Jahr einen Tiefstand.Ich kann dies aber nicht in allen Punkten nachvollziehen, denn die Leistung der Ampel-Regierung ist nach meiner Meinung besser als ihr Ruf, zumal ihr einige wichtige, aber kaum beachtete Fortschritte in der Wirtschafts- und Sozialpolitik gelungen sind.
Der größte und wertvollste Erfolg der Bundesregierung ist die Versorgungssicherheit bei der Energie. Noch im Sommer waren sich viele einig, dass ein Lieferstopp von russischem Gas fatale wirtschaftliche Folgen mit sich bringen würde. Angefangen von Produktionsausfällen in der Industrie bis zu einer massiven Wirtschaftskrise.Aber in Wirklichkeit sind die Gasspeicher glücklicherweisezu fast 100 Prozent gefüllt, auch dank einer klugen, wenn auch teuren Einkaufspolitik von zusätzlichen Gaslieferungen. Diese Politik hat auch dazu geführt, dass die Energiekosten wieder sinken und sich die Sorgen vor einer Welle von Unternehmenspleiten nicht bewahrheitet haben.Ein Teil der Wahrheit ist aber auch die Tatsache, dass der bisherige Winter gnadenvoll mild auftritt.
Ein zweiter Erfolg sind zahlreiche soziale Reformen. Die Einführung des Bürgergelds ist ein wichtiger Systemwechsel, vor allem bei dem Abbau von Sanktionen und der finanziellen Unterstützung. DieAusweitung der Wohngeldempfängerinnen und Empfänger von gut 700.000 auf knapp zwei Millionen ist eine riesige Hilfe für viele Bedürftige, genauso wie die Erhöhung des Mindestlohns auf zwölf Euro, von der mehr als sechs Millionen Beschäftigte direkt und nochmals deutlich mehr indirekt profitieren.
Unter dem Strich hat die neue Regierung die Schulnote „befriedigend“ verdient und ein „hat sich bemüht“, was wirklich nicht ironisch gemeint ist. Man muss schließlich auch beachten, dass die Koalition aus drei Parteien unterschiedlichster Couleur und politischen Richtungen besteht. Auch musste in der Nachkriegszeit keine Regierung mit Pandemien und Krieg in der Mitte Europas, verbunden mit Sanktionen und einschneidenden Maßnahmen, kämpfen.
Ich finde, das Glas ist halbvoll – zwar nicht so voll wie die Gasspeicher – und nicht halbleer.
