Energiekrise

Gastbeitrag meiner lieben Ex-Kollegin und Schwester im Geiste Gertraud Griepke

„Und stellen Sie sich vor, wir sollen unsere Hände jetzt mit kaltem Wasser waschen!“, berichtet empört eine Mitarbeiterin eines Seniorenpflegeheims. Die meiste Zeit wurde in der Damenrunde beim Dampfnudelessen über die gestiegenen Haus-Nebenkosten geredet und nach möglichen
Lösungen gesucht. Abenteuerliche Ideen und Vorschläge für Politiker und Experten wurden erwogen und kontrovers diskutiert.
Das positive Fazit: Energiekrisen machen erfinderisch, führen zur Neuorientierung, zu Alternativen,die ohne Not nicht verfolgt würden.
Während die Damen weiter diskutieren, erinnere ich die zweite Ölpreiskrise 1980.
Ich sehe meine Kollegen vor mir. Mein Zimmernachbar, frisch promoviert, athletisch, mit ausgezeichneten Zeugnissen, aber wegen des allgemeinen Einstellungs-Stops in der Literaturverarbeitung gelandet. Nicht ausgelastet, beschäftigte er sich nebenher mit allerlei anderen Themen.
Unsere Aufgabe war das erfassten chemische Sachverhalte aus Zeitschriften und Patenten, die später Eingang in ein großes Nachschlagewerk fanden. Patente sind üblicherweise nicht gebundene
Einzelartikel, schwarz weiß, mit wenigen Zeichnungen und vielen Formeln. Ein Spezialfall, die DDR-Patente, mit sehr wenig verwertbarem Inhalt, wurden dem Institut von der BASF zum endgültigen Verbleib zur Verfügung gestellt. Ein LKW brachte das fast wertlose Papier, das der Säure wegen schon am zerfallen war, wie die Kollegen zu sagen pflegten. Außerdem stank es, dass es in dem Büroregalen nicht gelagert werden konnte!
„Wir könnten doch Briketts daraus pressen!“, schlug mein Zimmerkollege, ein junger Chemiker seinem Vorgesetzten, einem ebenso promovierten Chemiker vor. „Gute Idee!“, befand der begeisterungsfähige Chef und fragte gleich nach Einzelheiten.„Brikettpresse kostet nur einhundert DM, und wir könnten sie gemeinsam kaufen“, schlug er vor und zeigte damit gleich, wie weit seine Projektidee schon gediehen war.
„Wir brauchen nur zusätzlich einen alten Zinkbottich zum Einweichen des Papiers und einen großen Rührer“.
„Und wo machen wir es?“, fragt der Chef , schon total begeistert.
„In unserem Büro, da gibt es genug Fensterfläche zum Trocknen.“
Ich wurde nicht gefragt, es war aber nicht schlimm, weil ich insgeheim neugierig war, wie es ausgeht.
Ein alter Zink-Bottich, wie eine Sitzbadewanne, stand als erstes in unserem Eckzimmer, neben den zwei Schreibtischen eingequetscht. Sie wurde mit vielen Eimern Wasser befüllt, bevor die Patentpapiere eingeweicht werden konnten. Glücklicherweise gab es keine Heftklammern zu Entfernen.
Am nächsten Tag rührte de r Athlet mit der riesigen Rührmaschine, die mich an Großkücheneinrichtung erinnerte, die Papiermasse zu Brei. Bald war die Umgebung bis hin zu den Schreibtischen mit ekeligem Papierbrei bedeckt, dabei war diese Verunreinigung noch harmlos im Vergleich zum Geruch nach dem sich auflösendem Papier. Unter den wachsamen Augen der zwei weiteren Geldgeber für die Presse, beides Führungskräfte
des Instituts, presste der muskulöse Projektleiter die ersten Briketts unter riesigem Kraftaufwand. Er mühte sich ab als wolle er erkaltete Kartoffel durch die Kartoffelpresse drücken. Sein Gesicht war puterrot.
Dreckbrühe und Druckerschwärze liefen zurück in den Bottich, das Brikett kam einen Drahtkorb, der für Drucksachen vorgesehen war. Damit es nicht auf die Fensterbank tropfte, wurden wiederum Patente untergelegt.
Der erste Pressvorgang ergab zwölf Briketts, die dann in unserem Büro leise vor sich hin schimmelten bevor sie trocken wurden. Es blieb bei einem einzigen Versuch.

Es dauerte noch eine Weile bis der Initiator die Dreckbrühe entsorgte. Bohrer und Wanne standen noch ein ganzes Jahr in unserem Büro, die unscheinbare Brikettpresse verschwand im Schrank.
Die drei Investoren haben das Projekt nie mehr erwähnt. Es war wohl kein wesentlicher Beitrag zur Lösung des Energieproblems.
Es gibt auch Irrwegen in der Energiekrise!

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