Toni

…oder das Ringen um eine Freundschaft

Sobald die Temperaturen in diesen heißen Augusttagen unter die 30-Grad-Marke sinken und sich bei erfrischenden 28 Grad einpendeln, wage ich es, zu meinen abendlichen Spaziergängen in die Wüstenlandschaft des Kraichgaus aufzubrechen.

Seit Monaten und Wochen kreuzen sich die Wege eines kleinen schwarzen Hundes mit meinen überschaubaren Exkursionen in die nähere Umgebung. Toni, so sein klangvoller Name, erwies sich als ein schüchterner und scheuer, aber neugieriger Artgenosse. Nach einigen flüchtigen Begegnungen und gegenseitigem erfolglosen Beschnuppern (soweit das bei einem menschlichen Wesen möglich ist) unterbreitete mir sein Frauchen, eine sympathische ältere Dame mit trockenem Humor, den Vorschlag, ihn mit Leckerlis zu bestechen, um sein Vertrauen zu mir ein wenig aufzubauen. Sie drückte mir resolut, ohne meine Antwort abzuwarten, diese Wunderwaffen der Hundeerziehung in die Hand.

Man sah dem armen Toni an, welch furchtbarer Kampf in seinem Hundekopf tobte: Einerseits die lustvolle Gier nach den Köstlichkeiten und andererseits das Misstrauen gegen ein unbekanntes furchterregendes menschliches Wesen, das aber verlockende himmlische Kostbarkeiten in der Hand hielt. Sein Frauchen klärte mich mit der Beredsamkeit einer promovierten Psychologin auf, dass sich der arme Hund in der Vergangenheit seelische Defekte zugezogen haben müsse, da er wahrscheinlich von Männern gequält und misshandelt wurde.

Langer Rede, kurzer Sinn, es gelang mir nur ein einziges Mal Toni zu überreden, aus meiner Hand zu fressen. Aber dabei musste es sich scheinbar um einen fatalen Irrtum des sensiblen Vierbeiners gehandelt haben, denn diese wundersame und für ihn heroische Tat, die ihn immense Überwindung gekostet hatte, war bisher einmalig geblieben.

Inzwischen haben wir beide uns pragmatisch darauf geeinigt, dass ich die von seinem Frauchen freundlicherweise zur Verführung gestellten Leckerlis auf dem neutralen Boden zwischen uns platziere und er mehr oder weniger huldvoll die dargereichten Gaben annimmt. Mein bisher größter Erfolg bestand darin, dass er eine Süßigkeit, die fast meine Schuhspitze berührte, blitzschnell mit einem lauten Schmatzen in seinem Rachen verschwinden ließ. Bei seinem fulminanten Rückzug war dann nur noch eine Staubwolke zu sehen.

Doch ich gebe die Hoffnung nicht auf, auch wenn es noch Monate dauern sollte, bis mir der ersehnte „Durchbruch“ zum Hundeflüsterer gelingen wird. Habe mir aber überlegt, demnächst selbst einen Beutel dieser feinköstlichen Bestechungspillen zu kaufen, denn ich möchte ja schließlich nicht als Schmarotzer dastehen und sein Frauchen in finanzielle Nöte stürzen.

Manchmal, wenn Toni und ich uns wie zwei Revolverhelden im Wilden Westen gegenüberstehen, wünschte ich mir, dass Toni reden könnte. Ich stelle mir dann vor, dass wir uns zusammen auf eine Bank setzen und ein Gespräch von Mann zu Mann über Gott und die Welt führen würden. Ich wäre ein stiller, geduldiger und einfühlsamer Zuhörer, dem er all die Traumata und Albträume aus seiner Vergangenheit bis ins letzte schreckliche Detail offenbaren könnte. Wenn er sich dann all seiner seelischen Ballaste entledigt hätte, würde er mir voller Dankbarkeit das Gesicht abschlecken und mir ergriffen seine Pfote reichen. Dies wäre der Beginn einer tiefen und festen Männer-Freundschaft.

Aber dann überlege ich mir, dass ihm viel erspart bleiben könnte, wenn er unsere Sprache besser doch nicht verstehen würde…

Auge in Auge mit Toni

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