Heidi Kastner: Dummheit

„Die Dummheit hat aufgehört sich zu schämen“

ISBN: 3-218-01288-0
EAN : 9783218012881
Kremayr und Scheriau
Oktober 2021 – Fester Einband oder Buch mit eingehängtem Buchblock – 101 Seiten
213g,194mm x 127mm x 16mm
Deutsch
Euro 18,-

Beschreibung
„Dummheit begegnet uns in vielerlei Form – doch woran kann man sie erkennen?“ Was haben so unterschiedliche Dinge wie „alternative Fakten“, menschenleere Begegnungszonen in Satellitensiedlungen und Schönheits-OPs als Maturageschenk gemeinsam? Heidi Kastner wagt sich an den aufgeladenen Begriff der Dummheit und betrachtet sowohl die sogenannte messbare Intelligenz (IQ) sowie die „heilige Einfalt“ und die emotionale Intelligenz, deren Fehlen immensen Schaden anrichten kann.  Was treibt Menschen, die an sich rational-kognitiv nachdenken könnten, dazu, sich und andere durch „dumme“ Entscheidungen ins Unglück zu stürzen? Wie ist kollektive Bereitschaft zu Ignoranz zu erklären und warum nimmt dieses Phänomen scheinbar so eklatant zu? Gibt es einen Konsens dafür, dass langfristig fatales, aber unmittelbar subjektiv vorteilhaftes Verhalten als „dumm“ anzusehen ist? Sind Abwägen und Nachdenken altmodisch? Und was um Himmels Willen ist so attraktiv am Konzept des Leithammels, der uns das Denken abnimmt, oder des Influencers, der uns den einzig wahren Weg zeigt? 

Blogkommentar
Leider scheint die Autorin ellenlange Schachtelsätze zu lieben, in welche auch noch in Klammern gesetzte Anmerkungen eingebaut wurden. Bei manchen Sätzen muss man sich richtiggehend „durchkämpfen“ und nochmals von vorne beginnen.
Der geniale Satz in dem Interview „Ich glaube, dass die Dummheit aufgehört hat, sich zu schämen“, schürt Erwartungen, welche das Buch nicht ganz erfüllen konnte. Man erwartete ein „Feuerwerk“ von Gedankenblitzen und genialen Einfällen. Auf mich wirkte das Werk aber eher wie eine hervorragend recherchierte und strukturierte Doktorarbeit.
Nicht nur, dass man nun die Dummen besser versteht, man weiß nach der Lektüre des Buches auch warum sie so „ ticken“. Leider wird man auch in seiner bisherigen Auffassung bestätigt, nämlich dass die Dummen immer häufiger die Mehrheit bilden und auch zunehmend an Macht gewinnen (Paradebeispiel Trump).
Der Preis ist mit 18,- Euro für nicht ganz 100 Seiten sehr ambitioniert.

Gesamturteil: Trotz einiger Mängel in der „Verpackung“ sehr lesenswert und interessant. Gerade jetzt in der Zeit der Querdenker und Verschwörungstheoretiker. Ich persönlich habe das Buch „in einem Ruck“ gelesen, werde die vielen Eindrücke und Gedanken sacken lassen und „Dummheit“ nach einiger Zeit nochmals in die Hand nehmen. Sicher werde ich viele Nuancen, Bedeutungen und Gedankenanstöße erst beim „zweiten Durchgang“ richtig erkennen. Aber das liegt ausschließlich an meiner Auffassungsgabe und nicht an der Autorin.

Interview (auszugsweise) der GMX-Redaktion
von Christian Stüwe

Heidi Kastner, in Ihrem Buch beschreiben Sie, dass sich Intelligenz und Dummheit nicht ausschließen müssen. Was genau ist also Dummheit?
Dummheit ist weniger eine Persönlichkeitseigenschaft als ein Verhalten, das sich in bestimmten Handlungen manifestiert. Wobei bei manchen Menschen solche dummen Handlungen häufiger vorkommen als bei anderen. Dummheit kann auf einer situativ veränderbaren Haltung beruhen. Dass man eher dem Gefühlten als dem Erkennbaren nachgeht, Entscheidungen ohne ausreichende Informationen als Entscheidungsgrundlage trifft.
Wenn man das langfristige Schädigungspotenzial für sich oder andere nicht bedenkt oder ausblendet. Wenn man generell allen Fakten misstraut, ist das dann schon das fortgeschrittenere Stadium. Dann wird es doch schon eher eine Persönlichkeitseigenschaft. Es ist ein Verhalten, das prinzipiell sehr viel Schädigungspotenzial beinhaltet und das man immer wieder antrifft. Und es führt immer wieder zu Erstaunen.

Wie gefährlich ist Dummheit für unsere Gesellschaft?
Ziemlich. Es hängt natürlich davon ab, wer solche dummen Entscheidungen trifft. Wenn das Menschen sind, die in entscheidenden Positionen sitzen, kann es für sehr viele Menschen sehr schädlich sein. Wenn es Menschen sind, die für sich in einem bestimmten Sachverhalt entscheiden, kann es sie selbst schädigen und andere natürlich auch. Es ist dumm, wenn man mit unpassender Geschwindigkeit unterwegs ist, obwohl man weiß, dass das die Unfallwahrscheinlichkeit erhöht. Prinzipiell ist Dummheit nichts, was langfristig von Vorteil ist.
Auch in Deutschland und Österreich ignoriert ein Teil der Menschen mit Blick auf die Corona-Pandemie und den Klimawandel wissenschaftliche Fakten und hängt populistischen Meinungen oder Verschwörungst-heorien an. Ist das ein Beispiel für Dummheit? Oder vielleicht auch eine durch Angst bedingte Verweigerung der Realität?
Das geht Hand in Hand. Dummheit ist immer dann sehr nahe, wenn man eher den eigenen Emotionen nachrennt, als auf Fakten zu hören. Fakten können manchmal unbequem sein. Und das ist unattraktiv. Dann bleibt man lieber beim Gefühlten und ignoriert die Fakten. Das hat in den letzten Jahren einen richtigen Aufschwung bekommen, mit diesem absoluten Unwort des postfaktischen Zeitalters. Was soll das überhaupt sein?
Angela Merkel hat mal beschrieben, dass postfaktisch wahrscheinlich bedeute, dass die Menschen eher ihren Gefühlen als den Tatsachen nachgehen würden. Aber im Mittelalter hat das zu Hexenverbrennungen und Judenpogromen geführt. Die Pest-Epidemie hat sieben Jahre gewütet. Die Menschen konnten sich diese Bedrohung nicht erklären. Also wurde nach einfachen, knackigen Erklärungen gesucht. Und diese wurden in den ‚brunnenvergiftenden Juden‘ gefunden. Das war eine gefühlte Erklärung, weil man keine andere hatte. Gefühlte Erklärungen führen aber nicht zu sinnvollen Lösungen.

Haben Sie das Gefühl, dass Dummheit in den letzten Jahren zugenommen hat oder entsteht dieser Eindruck durch die sozialen Medien?
Die Dummheit hat nicht zugenommen, sie ist ein stabiler und beachtenswerter Bestandteil der Conditio Humana. Man sollte mit ihr rechnen. Das nicht zu tun, wäre auch dumm.
Ich glaube aber, dass die Dummheit aufgehört hat, sich zu schämen.
Es ist salonfähig geworden, dumme Positionen lauthals herauszutröten. Man kann sich ziemlich sicher sein, dass man für jede noch so unsägliche Position irgendwelche Mitstreiter findet. Und in der Gruppe ist man dann stark und hat auf jeden Fall recht. Denn wenn viele glauben, was ich glaube, kann ich nicht falsch liegen. Es ist auf jeden Fall wesentlich angenehmer, in einer Gruppe Blödsinn zu schreien, als es allein zu tun. Die Möglichkeiten, Dummheit wahrzunehmen, haben sich vermehrt.

Heidi Kastner, Psychiaterin, Gerichtsgutachterin und Autorin

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