20 Jahre nach Beginn des Nato-Einsatzes in Afghanistan geben die Alliierten das Land auf. Viele Jahre der Ausbildung und des Trainings der afghanischen Armee und der Polizei waren umsonst. Die afghanischen Soldaten haben sich mehr oder weniger kampflos den Taliban ergeben.
Die Fähigkeiten der afghanischen Armee seien gnadenlos überschätzt worden, sagt John Sopko, der US-Generalinspekteur für den Wiederaufbau Afghanistans. Er ist sich sicher, dass die US-Militärs „wussten, wie schlecht die afghanische Armee war“. Die hochentwickelten Waffensysteme gingen über die Fähigkeiten der „in weiten Teilen analphabetischen und schlecht ausgebildeten afghanischen Soldaten hinaus“, schrieb er in einem Bericht für den US-Kongress.
Aber das ist nur die halbe Wahrheit, denn ein großer Teil der Armee war einfach nur kriegsmüde, wobei die langjährigen Auseinandersetzungen mit Russland faktisch immer noch eine nicht unbedeutende Rolle spielt. Vielen afghanischen Männern war auch die neuen Rechte und Freiheiten der Frauen ein Dorn im Auge. Die Bemühungen des Westens Demokratieverständnis bis in die letzten Wickel der Provinzen zu transportieren, fiel bei den Männern nicht gerade auf fruchtbaren Boden. So seltsam es für westliche Beobachter klingen mag, große Teile der Armee stehen ideologisch den Taliban näher als den selbsternannten demokratischen Heilsbringer aus dem Westen.
Das eigentliche Ziel der US-Politik war es, die Verantwortlichen des 11. September-Anschlags ein für alle mal zu bestrafen und zu vernichten. Man war dem fatalen Irrglauben verfallen, dass bei dieser Gelegenheit auch noch „nebenbei“ die Demokratie im gebeutelten Land installiert werden könne. Diese folgenschwere Fehleinschätzung hatte sowohl bei den Afghanen als auch bei den westlichen Verbündeten zu einer immens hohen Zahl an psychischen und physischen Kollateralschäden geführt.