Ohne den Zusatz „Kicke“ bei meiner Todesanzeige wüssten viele meiner Jugendfreude*innen gar nicht, dass ich nicht mehr unter den Lebenden weile.Doch der Reihe nach: Meine Eltern wohnten in den 30-zigern und 40-zigern in Berlin auf dem Kurfürstendamm. Das Haus wurde bei einem der furchtbaren Fliegerangriffen und verheerenden Brände vollständig zerstört. Sie mussten notgedrungen die Stadt verlassen und kamen dann glücklicherweise bei meiner Oma mütterlicherseits in Magdeburg unter. 1943 wurde meine Mutter schwanger. Da nun aber auch Magdeburg von heftigen Fliegerangriffen heimgesucht wurde, beschloss mein Vater, dass meine Mutter in Sicherheit gebracht werden sollte und zwar im Kreiskrankenhaus Wernigerode im Harz. Mein Vater war kriegsbedingt unabkömmlich und er bat deshalb einen sehr guten Freund, der als einer der wenigen Menschen zu dieser Zeit stolzer Besitzer eines Automobils war, meine Mutter in den Harz zu fahren. Man muss wissen, dass sein Freund gerade nach der Amputation eines Beines und eines Armes aus dem Lazarett entlassen wurde. Er lenkte also die wertvolle Fracht mit zwei gesunden Gliedmaßen, aber einem Holzbein sowie einem Armstumpf und fuhr ohne Erlaubnis Magdeburg zu verlassen zu dürfen, wie der Teufel durch Straßensperren und Gewehrfeuer, bis er uns heil in der Klinik abliefern konnte. Dieser tapfere Mensch, den ich später auch kennenlernen durfte und sehr schätzte, hieß Ralph. Aus Dankbarkeit wollte mein Vater mich spontan auf den Namen „Ralph“ taufen lassen. Aber dann kamen ihm leichte Bedenken und er mutmaßte, dass bei „Ralph Fischer“ zwei zischende „f-Laute“ disharmonisch aufeinander treffen würden. Mein Vater war ein sehr musikalischer und musischer Mensch. Er nahm einfach irgendwo aus dem unendlichen Reservoir der peinlichen Doppelnamen ein „Peter“ als Zischpuffer zwischen Vor- und Nachnamen.
Und so kam es zur Peinlichkeit „Ralph-Peter“, mit der ich schon mein ganzes Leben auf Kriegsfuß stehe. Ich liebte meinen Vater sehr, aber diese misslungene Namensgebung habe ich ihm heute noch nicht verziehen.Das ist der erste und „offizielle“ Teil meiner Namensgebung.Hier nun wie ich zu dem „inoffiziellen“ Namen „Kicke“ kam.Ich wuchs die ersten drei Jahre meines Lebens in Magdeburg auf. Außer mit meinen beiden Cousinen, die für mich wie Schwestern waren, spielte ich mit einem ungefähr gleichaltrigen Mädchen namens „Christel“. Ich gab mir alle Mühe, den Namen richtig auszusprechen, aber es reichte immer nur zu einem „Kickel“. Meine Eltern hatten meine kläglichen Bemühungen so amüsiert, dass sie mich von da an bis an ihr Lebensende „Kickel“nannten.
Für alle Mitglieder unserer Familie war ich fortan nur noch der „Kickel“. Die einzige Verwandte, die heute noch lebt, eine meiner Cousinen, inzwischen 80Jahre alt und in den USA lebend, nennt mich auch heute noch so.Nach dem Umzug meiner Eltern 1947 nach Heidelberg, der Geburtsstadt meines Vaters, zogen wir bei meiner zweiten Oma ein. Sie wohnte in einer Vier-Zimmer-Wohnung im schönen Stadtteil Neuenheim. Die Neckarwiese war nur einen Katzensprung entfernt und wurde mein zweites Spielzimmer. Wann immer es ging, ließ ich Schulaufgaben Schulaufgaben sein (und das ging fast immer) und spielte mit Begeisterung Fußball. Eines Tages, als ich mal wieder partout nicht nach Hause kommen wollte, holte mich meine Mutter ab und rief mit erhobener Stimme „KICKEL“.Meine Mitspieler hatten so einen komischen Namen noch nie gehört und fingen an zu grinsen. Aber bevor sie mich hänseln konnten, stellte ich reaktionsschnell richtig, dass der Name vom Fußball-Spiel abgeleitet sei, „Kicke“ laute und sie sich lediglich verhört hätten. Das leuchtete meinen Kumpanen ein und von da an war ich der „Kicke“. Mit diesem genialem Schachzug (Kleingeister nennen es Lüge) konnte ich die heikle Situation gerade noch retten. Die meisten meiner Sportkameraden und Freunde*innen kennen meinen peinlichen Doppelnamen gar nicht. Nur in der Schule wurde ich dann von den Lehrern enttarnt, aber zum Glück gefiel der Klasse mein Fußballname viel besser. Die Lehrer dagegen blieben stur bei dem Missgriff meines Vaters.
Übrigens meine Frau sagt seit 60 Jahren nur „Kicke“ zu mir.Als ich dann ins Berufsleben eintrat – erst zur Lehre in der Druckerei und dann in den Springer-Verlag – entschloss ich mich zu einer Radikalkur und eliminierte mit einem Handstreich „- Peter“ und wie Phönix aus der Asche kam ein „Ralph“ hervor.Dies hatte zu Folge, dass vier verschiedene Vornamen in vier verschiedenen Zeitzonen in meinem Umfeld herumschwirrten:Kickel: Eltern, VerwandteKicke: Sportskameraden, Freunde*innen Ralph-Peter: offiziell für Ämter, Schulen, Leserbriefe usw.Ralph: Berufsleben und Freunde, Bekannte, die ich ab diesem Zeitraum kennengelernt habe.Wenn ich Weihnachts- oder Glückwunschkarten schreibe, wird mir jedes Mal bewusst, dass ich schon lange Zeit mit einem regelrechten Namen-Salat leben muss. Ich frage dann stets hilfesuchend Traudel, mit welchen Namen ich bei wem signieren müsse.
Aber der Namen mit dem ich mich identifiziere und den ich mir ja auch schließlich selbst gegeben habe, wird immer „Kicke“ sein – bis zum Schluss (siehe oben).
