Zur Zeit tritt allerorts ein merkwürdiges und irritierendes Phänomen auf: Die sogenannte „Virologenwanderung“.
Sie begann vor einem Jahr, als sich vereinzelt Wissenschaftler, die sich als Virologen outeten, aus ihren anonymen Laboranstalten herauswagten und sich zaghaft dem grellen Licht der Öffentlichkeit näherten. Nach und nach legten sie ihre Scheu ab, einer nach dem anderen entledigte sich seines Laborkittels, ließ sich neu einkleiden und suchte die Nähe der Blitzlichter, Kameras und Mikrofone. Sie verließen zu hunderten ihre für den Normalsterblichen geheimnisvoll wirkenden Arbeitsstätten und jeder von Ihnen versuchte einen Platz in einer der zahlreichen TV-Talk Shows zu ergattern. Wem dies nicht gelang, der strebte ersatzweise ein Rundfunkinterview oder zumindest Erwähnung in einer Zeitungsnotiz an.
Sehr früh konstatierten sie, dass sowohl Politiker, Medien als auch die Öffentlichkeit gebannt an ihren Lippen hingen und ihre Worte wie himmlische Verheißungen oder Drohungen gierig aufsaugten. Auf diese Art und Weise wurde ihnen immer mehr ihre Bedeutung und ihr Stellenwert in der Öffentlichkeit bewusst. Sie ließen sich in ihrer Begeisterung für ihre neue Popularität zu Äußerungen hin, die sie ein paar Tage später nonchalant revidierten, als seien sie nie aus ihrem Mund entsprungen. Sie nannten Dauer und Intensität von komplexen und noch ungewissen Abläufen mit so einer Bestimmtheit, als seien sie für die Ewigkeit in Stein gemeißelt. Die daraus resultierende Unsicherheit in großen Teilen der Bevölkerung nahmen sie bewusst oder unbewusst nicht wahr.
Manch einer dieser neuen Stars in der Medienlandschaft schien zusammen mit Karl Lauterbach in den Studios zu übernachten, um ja keinen Sendetermin zu verpassen. Wahrscheinlich wussten sie oft nicht genau, in welcher Sendung sie gerade ihre mit medizinischen Fachausdrücken gespickte Statements abgaben. Sind gerade Anne Will oder Sandra Maischberger die Moderatorinnen oder sitzt man bei Frank Plasberg und wird „hart aber fair“ behandelt?
Eines haben die Vertreter dieser neu entdeckten Gattung gemeinsam, sie wissen (noch) nichts Genaues, aber das Nichtwissen vermitteln sie oft so überzeugend, dass sie wahrscheinlich selbst daran glauben.
Das selbst daran glauben beherrschen sie ebenso gut, sowie das Zurücknehmen anscheinend nie widerlegbarer vermeintlicher Fakten. Man denke da an manche Impfstoffe. Ganz getreu nach Adenauer, den sein Geschwätz von gestern ….